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Premosello – Colma – Pizzo Proman – Bocchetta dell‘ Usciolo – Alpe Quagiui – Val Gabbio – In la Piana – Alpe Mottac – Testa di Menta – Pizzo Tignolino – Monte Togano – Al Cedo – Santa Maria Maggiore

11.-14.07.2020

Unsere Abenteuerlust hat uns ins Val Grande geführt, eines der größten Wildnisgebiete in Europa. Der italienische Nationalpark liegt zwischen dem Lago Maggiore und Domodossola nahe der Schweizer Grenze.

Auf dem Weg zur Alpe della Colma
Einer der vielen Wasserfälle im Val Grande
Bochetta dell‘ Usciolo

Wir lieben es dort zu wandern, wo wir nicht auf Menschenmassen treffen. Das wilde Val Grade ist für uns in der Hinsicht sehr reizvoll. Es wird keine Alpwirtschaft mehr betrieben, es gibt lediglich Bivaccos (Schutzhütten) inmitten des Parks. Am Rande gibt es auch ein paar wenige Rifugios (bewirtete Hütten).

Nachdem wir uns ein wenig erkundigt hatten, war uns klar, dass wir unbedingt diese Wildnis erkunden möchten. Gleich beginnen wir mit der Planung. Wir schauen ein paar Videos, lesen ein paar Berichte und schließlich kaufen wir uns noch das Buch „Nationalpark Val Grande“ von Bernhard Herold und Tim Shaw.

Wir wollen uns gut vorbereiten, da wir trotz unserer bisherigen Erfahrung doch Respekt vor der Wildnis haben. Aus unseren Quellen geht hervor, dass einige auf Karten eingezeichnete Wanderwege nicht mehr existieren und man leicht vom Weg abkommen kann. Auch auf Handyempfang ist im Val Grande kein Verlass. Für unsere Routenplanung nutzen wir die swisstopo map von SchweizMobil. Als Grundlage dient uns das Buch, welches viele wertvolle Tipps liefert. Dort ist beispielsweise ersichtlich, welche Wege tatsächlich noch bewanderbar sind. Schnell ist klar, dass auch Offline-Kartenmaterial mit GPS-Standortermittlung nicht fehlen darf. Auf eine gedruckte Karte wollen wir uns in diesem Fall nicht ausschließlich verlassen.

Tag 1: Premosello – Alpe della Colma

Mit dem Auto reisen wir nach Santa Maria Maggiore. Von dort aus geht es mit dem Zug weiter nach Premosello. Das Auto soll also am Ziel auf uns warten. Gegen 14 Uhr starten wir voll motiviert bei sommerlicher Hitze über 30° und gefühlter Luftfeuchtigkeit von 137 % in das erste Abenteuer. Schon nach kurzer Zeit sind wir froh über unseren Vorrat an Sonnencreme und unsere Sonnenhüte. Das Tagesziel, die Alpe della Colma ist nur etwas mehr als 6 km entfernt, dabei sind allerdings 1670 Höhenmeter zu bewältigen.

Nach kurzer Zeit befinden wir uns im Wald und sind froh, aus der prallen Sonne zu sein, trotzdem sind wir bereits nass geschwitzt, diese Luftfeuchtigkeit und die Hitze machen uns zu schaffen.

Endlich etwas Schatten in Sicht

Schon auf dem ersten Wegstück im Wald bemerken wir beim Blick auf die Karte, dass wir uns nicht auf unserer markierten Route befinden. Kann nicht so schlimm sein, war ein Alternativweg laut Karte … irgendwie haben wir aber auch nichts anderes gesehen??? Naja, fängt ja schon gut an. Wir nehmen uns dann vor, doch öfter mal unseren Standort zu checken. Da wir unsere markierte Route verlassen haben sind wir dann dort gelandet, wo laut Karte dann unsere Alternativroute hätte lang führen sollen. In der Realität sieht das Ganze leider etwas anders aus.

Wir stehen plötzlich mitten im Nirgendwo. Was nun? Umdrehen auf keinen Fall – die schwer erkämpften Höhenmeter mit knapp 20 kg Gepäck wollen wir nicht aufgeben. Also ab durch den Busch, den Hang hoch und zur markierten Route zurückfinden. Nach etwa 45 min haben wir es geschafft, wieder auf unsere Route zu kommen und erreichen die Alpe Lut.

Brunnen an der Alpe La Piana
Ausblick Oberhalb von der Alpe La Piana

Nach dem Missgeschick läuft auf dem nächsten Teilstück dann alles nach Plan und wir erreichen die Alpe La Piana. Dort genießen wir frisches Bergwasser an einem Brunnen und werden freundlich von einem Hund begrüßt. Kurze Pause mit Snack und weiter geht es. Die Uhr zeigt bereits 17.20 Uhr und wir haben noch ein gutes Stück vor uns bis zur Alpe della Colma.

Mit den letzten Sonnenstrahlen kurz vor dem Tagesziel
Ankunft an der Alpe della Colma

Langsam sind wir nun wirklich fix und fertig und sehnen uns danach, unser Nachtlager aufzubauen. Zum Glück geht es weiterhin ohne Probleme vor- bzw. aufwärts. Die weniger brutale Abendsonne und der schöne Ausblick auf die umliegenden Gipfel lassen den restlichen Marsch fast wie im Flug vergehen. Eine angenehme Brise weht uns um die Nasen.

Schließlich erreichen wir die Alpe della Colma gegen 19.30 Uhr. Zelte aufbauen, den Kocher anwerfen und einen umwerfenden, klaren Sternenhimmel in absoluter Ruhe genießen – dazu ein paar Schafe für die Gesellschaft. Das hat sich gelohnt!

Tag 2: Alpe della Colma – Notbiwak im Wald

In den nächsten Tag starten wir früh – bereits um 5.30 geht der Wecker. Einerseits wollen wir den Sonnenaufgang sehen, andererseits haben wir auch heute einen knackigen Marsch vor uns. Den geplanten Abstecher zum Pizzo Proman nebenan lassen wir aus. Erstmal genug Höhenmeter – die Tour wird noch anstrengend genug. Ziel für heute soll es sein, in der Nähe der Alpe In La Piana das Nachtlager aufzuschlagen. Soweit zur Theorie…

Sonnenaufgang Monte Rosa Massiv

Mit neuer Energie geht es los und wir genießen die ersten kühleren Morgenstunden. Die hart erkämpften letzten Höhenmeter von der Alpe della Colma aus stapfen wir an diesem Morgen wieder runter Richtung Alpe Stavelli. Dort legen wir eine kurze Pause ein. Wasservorräte auffüllen und eincremen ist angesagt.

Weiter geht es Richtung Bochetta dell‘ Usciolo.

Steinig und steil – der Weg zur Bochetta dell‘ Usciolo
Fast den Höchsten Punkt für diesen Tag errreicht

Von dort oben hat man einen herrlichen Ausblick in das Tal und man kann bereits die Ruinen der Alpe Quagiui, ein schöner Platz zum kurzen Verweilen, erkennen. Ein weiteres Mal heißt es, all die mühsam errungenen Höhenmeter abzugeben.

Die Überreste der Alpe Quagiui – Ruinen sind ein häufiger Anblick im Val Grande

Die Alpe Quagiui erreichen wir um die Mittagszeit. Hier wäre auch ein schöner Ort für unser Nachtlager, allerdings ohne nahegelegene Wasserstelle und es soll weiter gehen zur Alpe In La Piana. Von 1728 m.ü.M. geht es runter auf 1493, hoch auf 1860, runter auf 1563 und weiter runter auf 1115 – alles in gefühlt einem Wimpernschlag.

Wir queren den Rio Val Gabbio und folgen dem Fluss in den Wald hinein. Guter Dinge gehen wir den gut erkennbaren Trampelpfad entlang, bis uns die vom Vortag bekannten Orientierungsschwierigkeiten wieder einholen – der Weg löst sich auf und wieder stehen wir mitten im Gemüse. Immer wieder laufen wir ein Stück zurück und suchen die Steinmännli, um uns zu orientieren. Der Blick auf Karte und Standort hilft auch nicht weiter.

Schlucht des Rio Val Gabbio
Auf Abwegen

Irgendwie erreichen wir einen Weg, glücklich und unter ersten Ermüdungserscheinungen trotten wir diesen weiter und laufen direkt Tageshighlight #1 in die Arme. Maik läuft voraus und steht urplötzlich Auge in Auge mit einer Aspisviper. Wer sich zuerst erschrocken hat kann bis heute nicht eindeutig geklärt werden. Fakt ist aber, die Viper sucht ihr Heil irgendwo zwischen Flucht und Angriff. Wie ein Pfeil schießt sie zwischen uns hindurch – steil hangabwärts… Wo und wie sie endete wissen wir nicht. Das einzig Gute an diesem Zwischenfall, alle sind wieder hellwach.

Weiter gehts zu Tageshighlight #2. Der Weg ist nun ein sehr schmaler Pfad, kaum erkennbar im Laub und immer steiler werdend. Etwa in der Mitte zwischen Alpe Val Gabbio und In La Piana müssen wir aufgeben und schweren Herzens umdrehen. Es ist kein Pfad mehr zu sehen. Keine Bäume, die Halt gaben. Rechts geht es hinunter in die Schlucht des Rio Val Gabbio und links genauso steil bergauf. Nach kurzer Überlegung steht der Entschluss: Weitergehen ist nicht vertretbar.

Es beginnt zu dämmern und wir müssen mitten im Wald – wohl bemerkt es ist überall steil – einen Zeltplatz finden. Auf dem Rückweg finden wir dann erschöpft einen einigermaßen ebenen Platz, der als Nachtlager passen könnte…

Somit kommen wir zu Tageshighlight #3. Uns war im Vorfeld bewusst, dass es im Val Grande Wildschweine gibt und campen im Wald nicht die beste Idee ist, ist in der Situation jedoch die einzige Wahl. Mit letzter Kraft wird der Aufbau der Zelte gestartet. Plötzlich hält Maik inne. Mit zitternder Stimme weist er uns darauf hin, dass sich unmittelbar in unserer Nähe Wildschweine befinden müssen. Adrenalinkick und Alarmbereitschaft bei Anja und Maik. Belustigung bei Chris. Die Handpumpe für die Isomatten entpuppte sich als täuschend echte Wildschwein-Imitation.

Unser Notlager mitten im Wald
Die erfrischende Waschstelle

Der Zeltplatz hat trotzdem noch ein Gutes. Wir sind relativ nahe des Rio Val Gabbio und so gehen wir uns vor der verdienten Nachtruhe noch die Schmach des Tages vom Leib waschen. Arschkalt ist es, aber das Gefühl von Frische und Sauberkeit bleibt unbezahlbar.

Wir kauern uns zu Dritt in ein Zelt, um einen alternativen Plan zu machen. Dabei gibt es noch eine wohlverdiente warme Abendmahlzeit. Frustriert müssen wir feststellen, dass wir tatsächlich nur umkehren können. Es gibt keinen anderen realistischen weg, um die Tour ans geplante Ziel fortzusetzen.

Tag 3: zurück Richtung Alpe Stavelli

Erfreulicher Anblick am Morgen. Maik holt seine frisch gewaschene Unterhose von der Zeltleine, die dort über Nacht getrocknet hat… hmm lecker alles voller Schneckenschleim. Da hat jemand in der Nacht fleißig ein Schleimmuster hinterlassen. Angewidert hängt er diese außen an den Rucksack, dort darf sie auf die nächste Wäsche warten.

Gerädert von der Nacht. Anja konnte kein Auge zudrücken, zu viel Adrenalin von den Erlebnissen. Jedes Geräusch könnte ein Wildschwein sein. Nicht wirklich erholt bauen wir unser Nachtlager wieder ab. Überall ist Laub. Auch im Zelt. Es scheint uns beim Abbau unmöglich das Laub herauszubekommen. Schließlich ist alles wieder eingepackt und wir hinterlassen unseren Schlafplatz so sauber, wie wir ihn aufgefunden haben. Wir brechen etwas wehmütig auf Richtung Alpe Quagiui.

Bald erreichen wir die Alpe und machen es uns auf einem der großen flachen Steine oberhalb der Ruinen gemütlich. Noch erschöpft von den Unannehmlichkeiten des Vorabends und der wenig erholsamen Nacht fühlt sich diese Pause unglaublich gut an. Wir sind etwas planlos und überlegen, was wir nun machen. Es wäre ein schöner Platz für das Nachtlager. Allerdings ist es grade erst Mittagszeit – was machen wir so lange? Noch am selben Tag nach Premosello erscheint uns unrealistisch und es muss auch ein Zug fahren, wenn wir dort sind. Schließlich müssen wir wieder zum Auto kommen, was am geplanten Ziel auf uns wartet. Wo wäre einer guter Schlafplatz? Der Weg bis Premosello ist überwiegend steil und wir können uns nicht an eine gute Stelle für einen Schlafplatz erinnern. Wir sind hin- und hergerissen. Maik wirft meine Mütze – zeigt der Bommel, in die eine Richtung bleiben wir dort und gehen heute nicht mehr weiter, zeigt er in die andere, dann gehen wir noch weiter. Der Bommel hat entschieden – wir gehen noch weiter. Nachdem wir noch eine stärkende Mahlzeit zu uns nehmen gehts wieder weiter. Auf zur Bochetta dell‘ Usciolo, es heißt also das letzte Mal bergauf für diese Tour.

Yummi – Grießbrei ist doch was feines 🙂

An der Bochetta dell‘ Usciolo gehen wir noch auf eine Erhöhung und haben dort sogar seit langem wieder Handyempfang. Dies nutzen wir, um zu schauen, wann wir die Züge fahren und checken das Wetter – sieht gut aus. Anschließend beginnt der Abstieg und glücklicherweise finden wir unweit der Alpe Stavelli einen Platz, an dem wir unsere Zelte aufschlagen können.

Der Schlafplatz der letzten Nacht
Chäshörnli gibts zum Abendessen

Abends stellen wir fest, dass Chris eine Zecke am Rücken hat – na super. Nicht um sonst sind unsere Rucksäcke so schwer, wird sind für alles vorbereitet. Das Zeckentool wird rausgekramt und ran an die Sache. Anja Bekommt sie trotz Tool nicht raus, Maik schafft es zu guter Letzt. Alle kontrollieren sich gründlich, glücklicherweise finden wir keine weiteren Zecken. Beruhigt legen sich alle aufs Ohr und hoffen auf eine entspanntere Nacht. Mitten im Tiefschlaf hören wir Maik aus seinem Zelt brüllen, dass es regnet. Mist – wir haben Wäsche zum Lüften und Trocknen draußen. Taumelnd wird das wichtigste gerettet.

Tag 4: Alpe Stavelli – Premosello

Es schüttet aus Eimern. Der Regen scheint nicht stoppen zu wollen, wir sind im Zelt gefangen und wissen nicht mehr wie wir liegen sollen. Gegen 8 Uhr wird es endlich weniger und wir trauen uns aus dem Zelt. Begeistert packen wir die nassen Zelte ein und frühstücken. Wir dürfen uns nicht zu viel Zeit lassen, wir wollen noch den Zug erwischen.

Die Füße schmerzen so sehr – die Jungs tragen Anjas Rucksack

Auf dem Rückweg begegnen zwei Rangern des Nationalparks und berichten Ihnen von der von und unpassierbaren Stelle im Val Gabbio. Sie nehmen den Hinweis dankbar an und wollen die Stelle in den nächsten Tagen inspizieren. Langsam tun wirklich uns allen die Füße weh, der Rückweg auf dem Asphalt zieht sich in die Länge. Wir halten es durch und erreichen just in time unseren Zug.

Fazit und Rundblick

Wir hatten eine wunderschöne Zeit im Val Grande, auch wenn es nicht wie geplant verlaufen ist. Wir haben nur sehr wenige andere Wanderer getroffen und hatten wirklich das Gefühl von Wildnis: Die teils kaum erkennbaren oder nicht mehr vorhandenen Wanderwege, Einsamkeit, Ruinen, kein Handyempfang und keine Alpwirtschaft.

Definitiv sind wir an unsere Grenzen gestoßen, in den Bergen ist es von großer Bedeutung dies zu erkennen und dementsprechend zu reagieren.

Wir würden es wieder tun, denn die Schönheit, Einsamkeit und Ruhe der Wildnis ist ein unbezahlbares Erlebnis für uns gewesen.